(N)ostalgie, Slampoetry, Lesebühne? Was erwartet uns bei der ultimativen
Ossilesung?
André Bohnwagner: Ein ungeflterter Einblick in das Leben vor und auch nach 1989, da es bei den ersten Schritten im goldenen Westen nicht an skurrilen Momenten mangelte.
Jörg Schwedler: Viel Lachen & keine Ostalgie-Show. Bei mir z.B. geht’s um die Kindheit im Osten und um den Umgang mit der neuerworbenen Reisefreiheit.
Dominik Bartels: Wir verklären den real sozialistischen Alltag wirklich nicht. Es ist eine satirische Aufarbeitung dessen, was man früher das staatlich organisierte Leben nannte.
Die Lesung lief bereits an verschiedenen Orten, meistens im Westen Deutschlands und fast immer ausverkauft. Warum?
Dominik Bartels: Das liegt vor allem an der guten Mischung. Wir haben einen ehemaligen Jungpionier, einen Ex-Thälmannpionier und einen Alt-FDJler auf der Bühne. Das Publikum bekommt deshalb sehr viele unterschiedliche Sichtweisen auf die Ereignisse und Kuriositäten in der DDR geboten.
André Bohnwagner: Für viele Gäste bietet sich die Möglichkeit, Geschichten über die DDR und die Eindrücke der Wende aus erster Hand zu hören. Und die Neugier ist eindeutig da. Ungefähr nach dem Motto: was sie schon immer über die DDR wissen wollten, sich aber nie zu fragen trauten.
Jörg Schwedler: Zum Einen scheint unsere Sichtweise auf das ganze Thema einen Nerv zu treffen. Zum Anderen versammeln sich hier auch circa 30 Jahre Slampoetry und Liveliteratur auf der Bühne.
Was haben Sie mit Ihrem Begrüßungsgeld angestellt?
Jörg Schwedler: Das Erste was ich von Westdeutschland gesehen habe, war Uelzen. Das muss man auch erst mal verkraften. Dort habe ich meinen ersten und einzigen Walkman gekauft.
Dominik Bartels: Ich habe mir abgefahrene Knöchelturnschuhe und eine äußerst fragwürdige Jogginghose gekauft. Mit neonfarbenen Applikationen. Ich sah aus … nee, das kann man nicht beschreiben.
André Bohnwagner: Ich habe mir ein Goldgräber-Set von Playmobil gekauft. Mich hat der Kapitalismus und die Aussicht auf schnellen Reichtum anscheinend sofort in seinen Bann gezogen.
Herr Bohnwagner, Ihre Familie hat die DDR bereits vor dem Mauerfall verlassen. Ist der Staat letztendlich darum zusammengebrochen?
André Bohnwagner: Daran besteht für mich absolut kein Zweifel. Da jedoch kaum jemand ein Telefon hatte, brauchte die Mund-zu-Mund-Propaganda eben etwas Zeit, bis die Nachricht über unsere Ausreise überall in der DDR bekannt war und auch Andere zum “Rübermachen” motiviert hat.
Was würden Sie jetzt wohl tun, wenn die Mauer nicht gefallen wäre?
André Bohnwagner: Da ich kurz vor der polnischen Grenze aufgewachsen bin, hätte ich wahrscheinlich eine Schmuggelroute etabliert. Bleibt nur die Frage, was sich gelohnt hätte, aus der DDR nach Polen oder umgekehrt zu schmuggeln.
Dominik Bartels: Ich wäre der erste Arbeitslose der DDR gewesen. Da ich mich weigerte, in der NVA zu dienen, liefen alle meine Bewerbungen ins Leere. Als 1990 die Mauer fiel, hatten alle einen Ausbildungsplatz – nur ich nicht.
Jörg Schwedler: Trecker fahren. Defnitiv Trecker fahren!
foto: Sabrina Beyer